Mit ihrem

Roman liefert Agota Kristof probaten Stoff über die Brüchigkeit von Zivilisation, Kultur und Humanität

Hundesöhne

nach „Das große Heft“ von Agota Kristof

für 2 Schauspieler, Klavier, Synthesizer und Gesang

Bühnenfassung, Regie, Komposition, Gesang: Arturas Valudskis
Schauspiel: Max Pfnür; Arturas Valudskis
Aufführungsort: Schauspielhaus Salzburg / Foyer
Premiere: 15.3.2011
 

Agota Kristofs „Das große Heft“ ist der erste Band einer Trilogie, die das Trauma von Emigration, Entwurzelung und Einsamkeit dokumentiert. Der Roman wurde in französischer Sprache unter dem Titel „Le grand cahier“ (Editions du Seuil, Paris 1986) erstveröffentlicht, in über 20 Sprachen übersetzt, als „Livre Européen“ gewürdigt und zusammen mit den Folgebänden „Der Beweis“ und „Die dritte Lüge“ mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Es ist die Chronik einer Kriegskindheit und eine Geschichte über die Strategien des Überlebens in einer von Gewalt und Unmenschlichkeit geprägten Realität. Tragende Figuren sind die etwa zehnjährigen Zwillinge Lukas und Claus, die von ihrer Mutter wegen des Kriegsgeschehens in der „Großen Stadt“ zur Großmutter aufs Land gebracht werden. Dort lernen sie, was in der Gesellschaft zum Überleben nötig ist: sie stehlen, lügen, töten, sie üben sich in körperlicher und seelischer Abhärtung, sie erziehen sich zur radikalen Gefühllosigkeit und verbieten sich jede Empathie mit ihrer Umwelt oder sich selbst. Die Kulturleistungen des Empfindens von Schmerz, Trauer, Angst, Scham oder Liebe, die menschliche Fähigkeit zu Mitgefühl und die zivilisatorischen Bedürfnisse wie jenes nach Sauberkeit und Hygiene erziehen sie sich ab, es geht um ein nacktes Überleben. Dass die Fähigkeit, töten zu können, elementarer sein kann als jene, lieben zu können, das ist ihre primäre Erfahrung und wird zur  Maxime ihres Handelns in einer Welt, in der der Krieg als zwingende Konsequenz der menschlichen Verfasstheit erscheint.

Der Roman zeichnet modellhaft das System und die Dynamik von Krieg nach und von jener Gewalt, die neue Gewalt produziert, er stellt eine beispielhafte Parabel dafür dar, wie die „große Geschichte“ ins Leben des Einzelnen eingreift. Mit ihrem Roman liefert Agota Kristof probaten Stoff über die Brüchigkeit von Zivilisation, Kultur und Humanität.

Der Text von Agota Kristof bietet sich für eine Umsetzung mit den Mitteln des Theaters an; die Klarheit der Sprache, die szenische Auflösung des Romangeschehens, seine episodische Struktur eignen sich besonders für eine theatralische Umsetzung, deren Ästhetik im Konzept von Arturas Valudskis bewusst minimalistisch gestaltet wird. Die stilistischen Mittel sind knapp, sie dienen dazu, die Atmosphäre des Romangeschehens zu vermitteln und die szenischen Übergänge zu verdeutlichen. Wie im Roman auch gilt das Prinzip der Nüchternheit und Sachlichkeit in der bildlichen Umsetzung menschlicher Existenz. Die Inszenierung, die auf zwei Personen angelegt ist, bewegt sich  -  wie der Roman auch – in der Unklarheit der Identität der beiden Zwillinge und bietet so eine Parabel auf Identität, Erinnern und die Möglichkeit, Gedanken lebendig zu machen und Geschichte zu erzählen.

Wir kommen aus der großen Stadt. Wir sind die ganze Nacht gereist. Unsere Mutter hat rote Augen. Sie trägt einen großen Karton und jeder von uns beiden einen kleinen Koffer mit seinen Kleidern, außerdem das große Wörterbuch unseres Vaters, das wir uns weitergeben, wenn unsere Arme müde sind.

Aus: Agotha Kristof, Das große Heft