Als uns die Dinge verließen

Nach Textausschnitten und Motiven aus "Physik der Schwermut" von Georgi Gospodinov

Ein Stück im Rahmen der Reihe "FREMD.GEHEN. Eine Landsuche."

 

Regie, Komposition, Gesang: Arturas Valudskis

Stimme und Spiel: Petra Nagenkögel

Uraufführung: 11.6.2016, Literaturhaus Salzburg

 

Du gehst den Gang einer Geschichte entlang, die dich zu einer weiteren führt, die zu einer dritten und so weiter.

Die Unabschließbarkeit von Geschichte, die prägende Kraft kollektiver Erinnerung und das Kontingente von Welt und Ich sind zentrale Themen im Roman "Physik der Schwermut" von Georgi Gospodinov. Gefasst in der Metapher des Labyrinths und in der mythologischen Figur des Minotaurus verbindet Gospodinov Zeiten und Räume, Geschichte, Mythos und Gegenwart. Von der griechischen Mythologie spannt sich ein Bogen zu den Jahren des bulgarischen Sozialismus. Möglich wird dies durch die überdurchschnittliche Begabung der Erzählerfigur zur Empathie: Sie kann und will sich einfühlen, sie kann in fremde Erinnerungen eintauchen und holt sie so aus dem Vergessen zurück.

Themen und Motive aus dem Roman verbinden sich in der Inszenierung von Arturas Valudskis zu Variationen aufnie erzählte Geschichten. Eingetaucht im „Jahrmarkt der Erinnerung“, erlebt die Erzählerfigur des Stücks, was Andere vor ihr erlebt haben, vom mythologischen in ein Labyrinth weggesperrten Minotaurus über den Großvater, der im Jahr 1917 von Mutter und Schwester irgendwo am Weg zurückgelassen wird bis hin zur eigenen Kindheit im Bulgarien der 70er Jahre. Um weder vergangene noch gegenwärtige Momente dem Verschwinden in der Zeit zu überlassen, legt sie ein Archiv vergessener Dinge und Ereignisse an, die plötzlich ans Licht kommen und einfach nur gesehen werden wollen. Minimalistisch gestaltete, mit subtilem Aberwitz ausgestattete Bilder aus weit auseinanderliegenden Geschichten verbinden sich zu Urszenen menschlicher Existenz und zu einem Plädoyer für das Erinnern als Akt des Widerstands.

 

Fotos: Bernhard Müller

Die Geschichte einer Familie kann auch als eine Geschichte im Stich gelassener Kinder beschrieben werden. Die Geschichte der Welt ebenfalls.